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Suchtexperten fordern grundlegende Reform der Drogenpolitik

Die Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver, Leiter des Instituts für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), und Prof. Dr. Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit am Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho), fordern eine grundlegende Reform der Drogenpolitik in Deutschland. „Die Entkriminalisierung der Konsumierenden aller Drogen ist ein längst überfälliger erster Schritt“, so die Suchtexperten.

Dringend geboten seien zudem eine Neuregulierung des Drogenmarktes sowie eine Fokussierung auf wirksame suchttherapeutische und sozialtherapeutische Maßnahmen im Justizvollzug, um eine Rehabilitation und Resozialisierung von drogenkonsumierenden Strafgefangenen zu ermöglichen.

Stöver und Deimel nennen weitere wichtige Schritte zur Anpassung der in ihren Augen bislang eher reformresistenten Drogenpolitik in Deutschland. Dazu gehören die Akzeptanz von Drogensucht als Krankheit, eine einheitliche drogenpolitische Linie der Bundesländer, der Zugang drogenabhängiger Gefangener zu Substitution, eine deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel durch Umverteilung für Prävention, Beratung und Therapie statt Repression und der Abschied vom Abstinenzdogma.

Im Hinblick auf die von der Ampelkoalition angekündigte Legalisierung von Cannabis legen die Wissenschaftler flankierende Vorschläge vor und plädieren zugleich dafür, die Regulierungsdebatte auszudehnen auf weitere Substanzen wie MDMA (bekannt u. a. als Partydroge Ecstasy).

Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt UAS
Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt UAS.
Suchtforscher Prof. Dr. Daniel Deimel von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho).
Suchtforscher Prof. Dr. Daniel Deimel von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho).

Zur Legalisierung von Cannabis

Mit der Legalisierung von Cannabis werde ein regulierter Markt für Erwachsene geschaffen. Durch Übertragung der niederländischen Verhältnisse auf Deutschland ergäben sich hierzulande schätzungsweise 2.000 Verkaufsstellen. Erwartbare Effekte wären der Zusammenbruch des Schwarzmarktes für Cannabis, der zu erhöhten Steuereinnahmen anstelle von Milliardengewinnen für die organisierte Kriminalität führt, sowie ein Wegfall der Repressionskosten im Bereich Cannabis und Einsparungen durch weniger Schäden aufgrund von qualitativ schlechten Produkten und falschem Umgang. Als wesentliche Maßnahmen zur Regulierung des Cannabismarktes schlagen die Forscher folgendes vor:

  • Verkauf ausschließlich in Fachgeschäften (z.B. als Teil von Drogerien und Apotheken) mit Fachpersonal, die Informationsangebote bereithalten und mit der Drogenhilfe vernetzt sind
  • Lizenzierung, d.h. Beschränkung auf eine Verkaufsstelle pro natürliche Person mit Sicherstellung des Jugendschutzes sowie ausschließlich persönlicher Verkauf in einer festen Betriebsstätte; kein Internet- oder Straßenhandel oder Automatenverkauf wegen fehlender Beratung. Mittelfristig Etablierung einer bestimmten Ausbildung als Voraussetzung, um ein solches Fachgeschäft zu führen bzw. darin als Fachpersonal zu arbeiten.
  • detaillierte Informationen über das Cannabis-Produkt in jeder Verkaufseinheit
  • Qualitätskontrolle der Cannabisprodukte zum Ausschluss gesundheitsschädlicher Rückstände wie Herbiziden und Pestiziden
  • Altersgrenze von 18 Jahren für den Kauf (analog zu Tabak und sogenanntem harten Alkohol), keine Registrierung

Und die Suchtexperten würden noch einen Schritt weiter gehen: „Auch andere Substanzen müssen reguliert und damit dem Schwarzmarkt entrissen werden, beispielsweise MDMA, das nach Cannabis und Amphetamin die drittmeist genutzte illegale Droge unter den 15- bis 34-Jährigen in Deutschland ist“, so Stöver. Bei einer vernünftigen Regulierung könnten die Risiken des Konsums deutlich verringert werden.
Insgesamt sehen die Wissenschaftler die Notwendig eines neuen gesundheitspolitischen Ansatzes mit dem Ziel der Regulierung illegaler Substanzen und eines Abbaus repressiver Strukturen zugunsten gesundheitlicher Unterstützungen und Hilfen. Dringend erforderlich sei zudem eine wissenschaftliche Fundierung der Drogenpolitik, begleitet von einem Beirat, einer Enquetekommission oder einer neu besetzten Drogen- und Suchtkommission der neuen Bundesregierung.

Quelle: Frankfurt UAS, katho
Bild: Gerd Altmann