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Teillegalisierung –aber (noch) nicht für Industriehanf

Warum Industriehanf und (Konsum-) Cannabis noch lange nicht dasselbe ist

Seit dem 1. April 2024 laufen die Cannabisuhren in Deutschland anders. Der legendäre Song „Legalize It“ von Peter Tosh ist Realität geworden – Erwachsene dürfen legal einen Joint rauchen. Mit dem Cannabisgesetz (kurz: CanG) ist der private Eigenanbau für den Eigenkonsum legalisiert. In den eigenen vier Wänden sind drei Cannabispflanzen und 50 Gramm getrocknetes Cannabis erlaubt, außerhalb immerhin 25 Gramm. Nach Daten des deutschen Zolls liegt der durchschnittliche Δ9-Tetrahydrocannabinol-Gehalt (THC) von Cannabisblüten bei circa 14 %, für Cannabisharz bei circa 20 %. Von Daniel Kruse

Und jetzt versuchen Sie einmal Industriehanf mit einem Anteil von unter 0,3 % THC in Deutschland legal anzubauen. Die Teillegalisierung von Cannabis hat für den Anbau und die Verarbeitung von Industriehanf sowie den Vertrieb und den Verkauf von Produkten aus Industriehanf bis jetzt faktisch (noch) nichts gebracht. Die positiven Effekte sind, wenn überhaupt, nur gefühlt spürbar. Warum ist das so?

Der entscheidende Unterschied zwischen Industriehanf (Nutzhanf) und (Konsum-) Cannabis steckt in der berauschenden Substanz Δ9-Tetrahydrocannabinol. Industriehanf, der zur kommerziellen Nutzung angebaut wird, zählt vorwiegend zu den Sorten Cannabis sativa und dessen kultivierten Form Cannabis sativa var. Sativa. Die Landwirte müssen zertifiziertes Saatgut von Sorten verwenden, die im gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten der EU verzeichnet sind. In diesem Katalog sind aktuell ca. 75 verschiedene Hanfsorten aufgeführt. Diese Sorten enthalten mit weniger als 0,3 % nur einen sehr geringen Anteil von THC und sind daher nicht zur Herstellung von Cannabis als Rauschmittel geeignet.

Damoklesschwert KCanG

Der Anbau und die Verarbeitung von Industriehanf unterliegen in Deutschland zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen, die im Wesentlichen im Konsumcannabisgesetz (KCanG) und in Europäischen Verordnungen festgelegt sind:

  • Legal angebauter Industriehanf muss einen THC-Grenzwert von unter 0,3 % aufweisen.
  • Der Anbau von Industriehanf ist genehmigungspflichtig, zuständig sind i. d. R. die Landwirtschaftsämter.
  • Der Anbau und die Verarbeitung von Industriehanf wird von den zuständigen Behörden überwacht und kontrolliert.

Für den normalen Landwirt ist der Anbau von Industriehanf aufgrund der vielen Verordnungsbestimmungen und Rechtsgrundlagen verwaltungstechnisch fast nicht zu bewerkstelligen:

  • Verordnung (EU) Nr. 2021/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften für die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellenden und durch den europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und den europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu finanzierenden Strategieplänen (GAP-Strategiepläne)
  • Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2022/126 der Kommission (Durchführungsbestimmungen)
  • Für die nationale Durchführung in der jeweils geltenden Fassung: 
  • Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG)
  • Konsumcannabisgesetz – KCanG
  • Verordnung zur Durchführung des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem (GAP-Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem-Verordnung – GAPInVeKoS-Verordnung)[2]

30 bis 40 % Fasern

Die ersten gesicherten Funde von Seilen aus Hanffasern stammen aus China um 2.800 v. Chr. Historiker verfolgen die Geschichte des Hanfs sogar bis 10.000 v. Chr. zurück. Gutenberg druckte 1455 die erste Bibel auf Hanfpapier aus recycelten Hanftextilien. Im 17. Jahrhundert war ein normales Segelschiff mit Segeln, Tauen und Takelage aus 50 bis 100 Tonnen Hanffasern ausgerüstet. Und ebendiese Fasern machen den Hanf so wertvoll.

Der heutige Industriehanf enthält einen sehr hohen Faseranteil von 30 bis 40 %. Weiterhin nutzt die Hanfindustrie die Hanfsamen, die Hanfschäben sowie die Hanfblüten und -blätter. Die Endprodukte sind Baustoffe, Textilien, Lebens- und Futtermittel und Kosmetika. Hanffasern ersetzen als abbaubare „Kunststoffe“ mittlerweile sogar Karosserie- und Innenraumkomponenten modernster Automobile und fliegen ins All. Das Potenzial von Hanf ist einzigartig.

Hanfsamen sind wegen ihres hohen Nährwerts und ihrer vielseitigen Verwendbarkeit in der Lebensmittelindustrie besonders geschätzt. Sie sind reich an essenziellen Fettsäuren, Proteinen, Vitaminen und Mineralien. Aufgrund dieser Eigenschaften sind Hanfsamen echte Superfoods. Zu den beliebtesten Produkten gehören Hanföl, Hanfmilch, Hanfproteinpulver und natürlich geschälte Hanfnüsse als Zutat für Müslis und Müsliriegel.

Milliarden-Markt

„Der weltweite Markt für Industriehanf wurde im UNCTAD-Bericht für das Jahr 2022 auf 4,74 Milliarden USD geschätzt und dürfte im Jahr 2023 bereits 5,5 Milliarden USD erreicht haben. Prognosen zufolge wird sich der weltweite Markt für Industriehanf in den kommenden Jahren wertmäßig auf rund 17 Mrd. USD im Jahr 2030 vervierfachen.“[4]

In Europa standen 2023 circa 50.000 Hektar für den Anbau von Industriehanf zur Verfügung. Frankreich ist mit rund 20.000 Hektar der führende Produzent, und es wird erwartet, dass diese Fläche im Jahr 2024 auf 23.000 Hektar erweitert wird. Weitere bedeutende Erzeuger sind das Baltikum, Italien und die Niederlande. Diese Anbaufläche spiegelt einen deutlichen Anstieg gegenüber den vergangenen Jahrzehnten wider; so ist die Hanfanbaufläche in Europa von 2013 bis 2018 um 70 % und seit 1993 um 614 % gestiegen.[5]

Der europäische Markt für CBD-Produkte allein könnte nach verschiedenen Prognosen bis 2025 auf über 1,5 Milliarden Euro anwachsen. Der Gesamtmarkt für Hanf, einschließlich Fasern, Samen und Extrakte, ist entsprechend größer und wird durch eine starke Nachfrage nach nachhaltigen und ökologischen Produkten weiter angetrieben.

Regulierungswut und Willkür

Trotz des raschen Wachstums der verschiedenen Märkte für Industriehanf ist das Handelsvolumen nach wie vor vergleichsweise bescheiden. Die erheblichen Unterschiede in der Regulierung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und die willkürlichen Auslegungen der europäischen Bestimmungen auf nationaler Ebene in Deutschland bremsen die Erfolgsstory des Industriehanfs bisher noch aus.

Die aktuellen THC-Grenzwerte für Lebensmittel und Futtermittel in der EU sind oft Gegenstand von Kritik, da sie europäische Produzenten gegenüber internationalen Wettbewerbern benachteiligen. Diese strengen Grenzen schränken die Vermarktungsfähigkeit von Hanfprodukten ein. Die Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten, Hanfextrakte und CBD-haltige Nahrungsergänzungsmittel als „neuartige Lebensmittel“ zu klassifizieren, hat ebenfalls Kontroversen ausgelöst. Der Registrierungsprozess  von neuartigen Hanfprodukten ist langwierig und kostspielig.

Die hohen Personal- und Produktionskosten in Europa stellen eine weitere Herausforderung für die Hanfindustrie dar. Um wirtschaftlich nachhaltig zu sein, ist es entscheidend, dass alle Teile der Hanfpflanze – Fasern, Samen, Blätter und Blüten – effizient genutzt werden, um die notwendigen Deckungsbeiträge für Landwirte und verarbeitende Betriebe zu erwirtschaften.

Fazit: Das Potenzial ist da

Hanf ist in vielerlei Hinsicht nützlich für die Umwelt und schwächt die Auswirkungen des Klimawandels ab. Ein Hektar Hanf bindet neun bis 15 Tonnen CO₂, was einem jungen Wald entspricht, wobei Hanf, im Gegensatz zu Wald, nur fünf Monate zum Wachsen benötigt. Die dichten Blätter der Hanfpflanze bilden eine natürliche Bodenbedeckung, reduzieren den Wasserverlust und bremsen die Bodenerosion. Da es genügend natürliche Feinde von Schädlingen in Hanfplantagen gibt, kann in den meisten Fällen auf Insektizide, Herbizide und Fungizide verzichtet werden. [6]

Cem Özdemir und Daniel Kruse
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und Daniel Kruse, Geschäftsführender Direktor Synbiotic SE und Präsident der European Industrial Hemp Association (EIHA).

Ferner trägt Industriehanf zur Ernährungssicherheit bei, da seine Samen reich an essenziellen Fettsäuren, Proteinen, Vitaminen, Mineralien, gesundem Fett und verdaulichen Ballaststoffen für die menschliche Ernährung sind.

Mit seinen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bietet Industriehanf eine Vielzahl von Möglichkeiten für Nachhaltigkeitsinitiativen, die Bereiche wie Ernährungssicherheit, nachhaltiger Wohnungsbau, Stadtentwicklung, alternative Textilien, diversifizierte landwirtschaftliche Einkommen und Kohlenstoffspeicherung umfassen.

Warum Industriehanf und (Konsum-) Cannabis noch lange nicht dasselbe ist? Weil die berauschende Wirkung von Industriehanf an den (Drüsen-)Haaren herbeigezogen ist. Wer isst schon 150 Industriehanf-Cookies oder trinkt 100 Tassen Hanftee, um sich theoretisch und völlig lebensfremd versuchsweise in einen Rausch zu versetzen? Mit der Teillegalisierung von (Konsum-) Cannabis in Deutschland muss die Politik jetzt auch den Status von Industriehanf neu bewerten und die willkürliche Stigmatisierung von Industriehanf beenden. Ansonsten würde Deutschland auch beim Industriehanf zu den wirtschaftlichen Verlierern gehören.

Es gibt allerdings auch Nachrichten, die Anlass zur Hoffnung geben. Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, hat am 14. Mai 2024 in einer geradezu historischen Rede auf dem Parlamentarischen Abend der Cannabiswirtschaft in Berlin die Streichung der sogenannten „Rauschklausel“ angekündigt. Diese deutsche Sonderregel führt aktuell dazu, dass selbst sehr niedrige Gehalte von THC im Industriehanf zur Strafbarkeit, Razzien und Betriebsschließungen führen können. Die bisherige Scheu, sich mit dem Thema zu befassen, ist unbegründet, so Özdemir „Wir machen ja auch keinen großen Bogen um Bäckereien beispielsweise, nur weil es dort auch Mohnkuchen gibt, und es bei bestimmten Stoffen im Speisemohn übrigens ebenfalls Höchstgehalte gibt.“ [7]

Referenzen:
[1] BfR Bundesinstitut für Risikobewertung, Fragen und Antworten zu den gesundheitlichen Risiken von hanfhaltigen Lebensmitteln und Futtermitteln. https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_den_gesundheitlichen_risiken_von_hanfhaltigen_lebensmitteln_und_futtermitteln-277052.html#:~:text=Das%20BfR%20empfiehlt%2C%20die%20toxikologische,Milligramm%20pro%20Kilogramm%20Körpergewicht%20durchzuführen
[2] Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Merkblatt für Landwirte, die im Jahr 2024 Nutzhanf anbauen. https://www.ble.de/DE/Themen/Landwirtschaft/Nutzhanf/nutzhanf_node.html
[3] Angepasst an UNCTAD 2023
[4] UNCTAD-Bericht 2022
[5] EIHA European Industrial Hemp Association. https://eiha.org/wp-content/uploads/2020/10/2018-Hemp-agri-report.pdf
[6] Europäische Kommission, Agriculture and rural development. https://agriculture.ec.europa.eu/farming/crop-productions-and-plant-based-products/hemp_de
[7] Pressemitteilung der Cannabiswirtschaft BvCW vom 15. Mai 2024. Industriehanf: Özdemir kündigt Gesetzesänderung an. https://cannabiswirtschaft.de/industriehanf-ozdemir-kundigt-gesetzesanderung-an

Bild: photocreo/envato