
Der Paradigmenwechsel darf nicht das Ende der Debatte sein
Der 1. April 2024 ist ein Tag für die Geschichtsbücher. Er ist nicht nur der Tag, an dem endlich in Deutschland ein Paradigmenwechsel für den Umgang mit Hanf und Cannabis gesetzlich verankert wurde. Die Herausnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz setzt in Europa ein Zeichen, dass Deutschland vorangeht und erkannt hat, dass Kriminalisierung und Diskriminierung keine Lösung darstellen. Es bleibt abzuwarten und ggf. auch zu ermutigen, wann andere europäische Partner nachziehen und wie sich die Debatte international weiterentwickelt. Eines ist aber klar: Dieser 1. April 2024 bedeutet nicht, dass unser Weg beendet ist. Er bedeutet den Beginn einer Debatte unter anderen Voraussetzungen. Ein Kommentar von Dirk Heitepriem und Jürgen Neumeyer
Die vergangenen zwei Jahre haben viel Engagement aus Industrie und Gesellschaft gefordert. Seit im Juni 2022 der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert mit den Experten Hearings den Startschuss für das Gesetzgebungsverfahren gegeben hat, erlebten wir eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Schnell war klar, dass wir keine volle Legalisierung haben würden, sondern einen deutschen Sonderweg – irgendwo zwischen Entkriminalisierung und Versuchen, dem Schwarzmarkt etwas entgegenzusetzen. Zahlreiche Stellungnahmen, Fachgespräche, Interventionen und Hearings später zeichnete sich mit dem Eckpunktepapier im April und dem Kabinettsbeschluss im August 2023 ein klarer Weg in Richtung Cannabisgesetz ab. Dieser Weg wurde dann doch nochmal durch die Blockadehaltung zahlreicher Bundesländer steinig und konnte am Ende nur durch eine sogenannte “Protokollerklärung” von Gesundheitsminister Lauterbach zu Ende gegangen werden. Im Nachgang bleibt ein leicht bitterer Beigeschmack, dass trotz intensiver Diskussionen ein großer Teil der deutschen Politik weiterhin davon überzeugt ist, dass Cannabis nur mit aller Härte des Gesetzes kontrolliert werden kann. Aber am Ende zählt das Ergebnis – ein Erfolg, aber noch weit weg von “fertig”.
Dabei darf der Blick jedoch nicht nur auf die internationale Bühne gehen. Auch die Arbeit in Deutschland ist bei Weitem noch nicht beendet. Im Gegenteil: Es haben sich zwar die Rahmenbedingungen deutlich verändert, jedoch bleiben viele Probleme – vor allem mit Blick auf die Wirtschaft – ungelöst.
Industriehanf
Das Cannabisgesetz besteht derzeit aus dem Genusscannabis- und dem Medizinalcannabisgesetz. Was bisher fehlt sind klare Rahmenbedingungen für den Industriehanf – und somit ein sattelfestes Industriehanfgesetz als drittes Regelungsregime. Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung arbeitet daran, dass auch endlich Hanfanbauer, -produzenten und -vertrieb Rechtssicherheit bekommen. Es ist bis heute nicht nachvollziehbar, dass das wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Potenzial von Industriehanf in Deutschland nicht genutzt wird. Stattdessen müssen unsere Unternehmen zuschauen, wie das europäische Ausland an ihnen vorbeizieht.
Die Rauschklausel bildet hierbei den Kern des Problems. Eine positive wirtschaftliche Entwicklung beim Industriehanf wird nicht möglich sein, solange jeder, der sich damit beschäftigt, mit einem Bein im Gefängnis steht. Immer wieder wird seitens Staatsanwälten und Gerichten die theoretische Möglichkeit herangezogen, dass Industriehanf einen Rausch erzeugen kann. Dies ist nicht nur realitätsfern, sondern blockiert die Entwicklung eines Industriezweiges, der gerade mit Nachhaltigkeit in so vielen Bereichen unserer Gesellschaft einen positiven Beitrag leisten kann.
Auf dem parlamentarischen Abend der Cannabiswirtschaft am 14. Mai 2024 stellte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hierzu seine Pläne vor. Ein Fall der Rauschklausel soll noch in dieser Legislaturperiode kommen, verbunden mit weiteren Reformen.
Grow-Hubs
Das Recht auf gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis in Anbauvereinigungen soll Teil des Weges zur Zurückdrängung des Schwarzmarktes sein. Das ist ein guter und wichtiger Schritt, aber mit den zusätzlich geplanten Einschränkungen mit Blick auf Grow-Hubs ist der Erfolg noch mehr als fraglich geworden. Der Anbau von Cannabis im kleinen Stile ist nicht so schwierig, aber große Mengen in hoher, gleichbleibender Qualität zu produzieren bedarf Know-how und vor allem technische Ausstattung. Hier könnten Anbieter helfen, die „full-service“-Lösungen für Anbauvereinigungen anzubieten. Bei den sogenannten Grow-Hubs würden voll ausgestattete Pflanzräume und andere Serviceleistungen an Anbauvereinigungen vermittelt.
Dies ist auch mit Blick auf die Bekämpfung des Schwarzmarktes und vor allem der organisierten Kriminalität extrem wichtig. Investitionen seitens der Wirtschaft brauchen Planungs- und Investitionssicherheit. Eine Ermöglichung von Grow-Hubs würde dies erlauben und gleichzeitig eine gute Basis für die Umsetzung der Säule 2 bieten. Das Cannabisgesetz hat das klare Ziel, den Schwarzmarkt zurückzudrängen, Jugend- und Gesundheitsschutz zu fördern und den Zugang von Konsumierenden zu legal produzierten, qualitativ hochwertigen Produkten zu ermöglichen. Wer das mit Anbauvereingungen erreichen will, muss diesen auch die Möglichkeit schaffen, sich zu etablieren. Dabei sind Investitionen aus der Wirtschaft zu fördern oder mindestens wohlwollend zu dulden, denn sonst würden Organisationen mit kriminellem Hintergrund sicher gern einspringen.
Medizinalcannabis
Die Herausnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz bedeutet für viele Patientinnen und Patienten eine deutliche Erleichterung. Der Zugang zum Cannabis aus der Apotheke wird nicht nur allgemein leichter, auch haben bestimmte Fachärzte nun erstmalig die Möglichkeit zu verschreiben. Ein Beispiel seien hier nur die Gynäkologen. Patientinnen mit Endometriose zum Beispiel sind damit nicht mehr gezwungen, sich Cannabis aus illegalen Quellen zu besorgen.
Gleichzeitig fühlen sich viele Patientinnen und Patienten durch die Änderungen verängstigt. Es darf nicht passieren, dass Ärzte jetzt keine Erstattung mehr beantragen, da man sich Cannabis ja “leicht besorgen” kann. Die Einführung des Cannabis als Medizin Gesetz 2017 zielte darauf ab, dass für Patientinnen und Patienten eben kein Eigenanbau und keine Selbsttherapie mehr nötig ist, sondern eine ärztlich begleitete Therapie ermöglicht wird, in der die Kosten durch die Krankenkassen getragen werden. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, diesen Zugang nicht nur sicherzustellen, sondern ihn auch weiter zu vereinfachen. In diesem Zusammenhang warten die Patientinnen und Patienten noch immer auf die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), zur Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts für Fachärzte, zu welchen der Gesetzgeber sie im Rahmen des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – ALBVVG verpflichtet hatte. Diese Festlegung sollte der G-BA bis zum 1. Oktober vergangenen Jahre durchgeführt haben. Hier ist dringend auch mehr Engagement nötig.
Säule 2
Um die Zielsetzung aus dem Koalitionsvertrag und die Eckpunkte der Bundesregierung zur Cannabislegalisierung aus dem April 2023 umzusetzen, braucht es eine rasche Schaffung der zweiten Säule. In der gesamten Debatte um das Cannabisgesetz war immer klar, für die Zurückdrängung des Schwarzmarktes braucht es den Zweiklang aus Eigenanbau und kommerziellen Projekten.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium versucht dies nun durch eine Verordnung auf den Weg zu bringen. Danach könnten wissenschaftliche Projekte für die “nicht-medizinische wissenschaftliche Forschung” bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) eingereicht und bewilligt werden; also auch entsprechende Modellprojekte mit legalen Produktionsketten. Das ist sehr zu begrüßen, denn es scheint der einzig mögliche Weg zu sein, da ein neues Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht mehr zu schaffen ist. Die Erfahrung aus dem Cannabisgesetz zeigt, dass es im Bundesrat, aber auch in den Reihen der Ampelfraktionen im Bundestag noch immer viele Kräfte gibt, die dies mit aller Kraft verhindern wollen. Im September 2025 wird ein neuer Bundestag gewählt und somit bleibt keine Zeit für ein neues Gesetz. Die Erarbeitung des Cannabisgesetz hat von den ersten Konsultationen bis zum in Kraft treten fast zwei Jahre gebraucht.
Bild: photocreo/envato