Die Bauernfamilie Thomassek aus Dithmarschen (Schleswig-Holstein) wurde am vergangenen Dienstag von einem Großaufgebot der Polizei überrascht. Über 25 Beamtinnen und Beamte von LKA, Kripo und Polizei durchsuchten Haus und Hof auf der Suche nach dem, was sie bereits seit Jahren staatlich genehmigt anbauen: Nutzhanf. Obwohl nachgewiesen ist, dass dieser weit unter 0,2 % des erst in größeren Mengen berauschend wirkenden THC beinhaltet, vollzog die Staatsanwaltschaft Itzehoe die Beschlagnahme sämtlicher Nutzhanfgüter aufgrund ermittlungsrichterlichen Beschlusses des Amtsgerichts Itzehoe, und zwar einschließlich der Hanffelder mit einer Anbaufläche von rund 3,7 Hektar. Die Begründung: Der nach Ernte mitunter hergestellte Hanftee sei geeignet, ein berauschendes Gebäck herzustellen, sodass der Verkauf an Endverbraucher gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoße. Zudem sei angeblich auch der Verkauf von karamellisierten Hanfsamen als Lebensmittel strafbar.
Der Anbau von Nutzhanf ist seit 1996 in Deutschland wieder legal. Seitdem wird u. a. auch Tee aus bzw. mit Nutzhanf angeboten. Auf den betroffenen Feldern wuchs EU-zertifizierter Nutzhanf, sie waren ordnungsgemäß bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) angemeldet und haben eine Erntefreigabe durch das BLE. Die Ernte sollte in ca. zehn Tagen erfolgen.
Gefährdung von Existenzgrundlage
“Im aktuellen Fall wird die Existenzgrundlage eines bäuerlichen Betriebes gefährdet, dessen Anbau behördlich genehmigt und die Ernte sogar bereits freigegeben wurde. Sollte sich nun die Staatsanwaltschaft Itzehoe mit Ihrer neuen Rechtsauffassung durchsetzen, wäre ein Großteil der 863 Landwirtschaftsbetriebe im Nutzhanfbereich sowie zahlreiche weiterverarbeitende Betriebe und somit bundesweit tausende Arbeitsplätze in ihrer Existenz bedroht” so Dr. Stefan Meyer, Präsident des BvCW.
Der BGH hatte in seinem Urteil vom 24.03.2021 (AZ: 6 StR 240/20) festgestellt, dass Hanftee nur dann an Endverbraucher abgegeben werden dürfe, wenn der Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe glaubt also, trotz der hohen allgemeinen Verfügbarkeit von hochpotentem Schwarzmarktcannabis, dass hier ein erhebliches Missbrauchsrisiko besteht. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. hatte in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht, dass dies in der Praxis ausgeschlossen werden kann.
Während im Fall Dithmarschen die Staatsanwaltschaft (AZ: 315 Js 4462/22) und das Amtsgericht (AZ: 40 Gs 1877/22) Itzehoe einen bundesweit einzigartigen Präzedenzfall durch Beschlagnahme von behördlich angemeldeten Nutzhanffeldern schaffen und eine maximal restrikte Auslegung der gesetzlichen Vorschriften vornehmen, hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn im Fall Lidl (AZ: 62 Js 30853/21) – der 2021 kurzfristig ähnliche Produkte verkaufte – in der gleichen Woche ganz anders entschieden: Das Verfahren wurde mangels berechtigtem Strafbarkeitsvorwurf eingestellt. “Wir begrüßen die Entscheidung im Fall Lidl sehr, aber es muss gleiches Recht für alle gelten. In der Branche wächst der Eindruck, dass kleine und mittelständische Unternehmen durch Beschlagnahmen und langwierige Verfahren bis zur Insolvenz schikaniert werden, während man die Großen laufen lässt” so Marijn Roersch van der Hoogte, Vize-Präsident des BvCW.
Rechtssicherheit gefordert
Die Familie Thomassek ist mit Ihrem Unternehmen “Dithmarschen Hanf” Mitglied im Branchenverband Cannabiswirtschaft (BvCW e.V.). Der BvCW setzt sich für sein Mitglied ein und wird sich hierzu nun an die zuständigen Ministerien in Schleswig-Holstein und auf Bundesebene wenden. Der Rechtsanwalt der Familie, Dr. Ferdinand Weis, hat bereits angekündigt Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmen einzulegen.“Es ist absolut unverständlich, warum Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Itzehoe nun, 26 Jahre nach der Relegalisierung des Nutzhanfanbaus in Deutschland, mit solchen Maßnahmen beginnen, obwohl es keine rechtlichen Änderungen gab. Während wir darüber diskutieren, wie Cannabis als Genussmittel zukünftig angebaut werden soll, wird andernorts versucht, das Rad des Fortschritts zurückzudrehen. Um hier zügig Rechtssicherheit zu schaffen, fordert der BvCW die Bundesregierung auf, die Expertenempfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 15.03.2021 schnellstmöglich umzusetzen. Ansonsten ist der Gesetzgeber gefordert, seine Reformvorstellungen (vgl. Bericht des Ausschuss für Landwirtschaft und Ernährung des Deutschen Bundestags vom 23.06.2021 zum Thema “Potentiale des Nutzhanfs voll ausschöpfen”) schnellstmöglich anzugehen; fast alle Fraktionen sahen in der vergangenen Legislaturperiode Handlungsbedarf im Bereich Nutzhanf. An diesem dringlichen Bedarf hat sich nichts geändert – wie auch der aktuelle Fall zeigt“ so Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer des BvCW.
Quelle: BvCW